Früher dienten die Glocken dem Ruf in die Gemeinde, in die Welt: von der Uhrzeit angefangen zu den regelmäßigen Gebetszeiten, am Sonntag zum Gottesdienst und an den Feiertagen zur Erinnerung an die Besonderheit der Stunde. Sie waren insofern Mittel des Glaubenslebens. Sie läuteten bei einem Sterbefall (und es gibt Orte, wo das gegenwärtig immer noch so gehandhabt wird). Sie läuten vielfach während eines Vater-Unser-Gebets, teilweise während der Einsetzung eines Abendmahls oder auch am Ende eines Gottesdienstes.
Sie hatten aber darüber hinaus auch eine öffentliche Funktion: Sie läuteten, um eine Gefahr anzuzeigen, oder auch nur um herausragende öffentliche Ereignisse zu vermitteln. Geburt des Thronfolgers, solange es das noch gab. Ein Kriegsausbruch, ein Friedensschluss. Bei Waldbrand, bei anderen Naturkatastrophen. Als Warnsignal, um die Menschen zusammen zu rufen, damit man ihnen dann abkündigen konnte, was bekannt zu geben war.
Sie zeigten am Glockenturm die Uhrzeit, mit einem Zifferblatt und akustisch mit dem Glockenschlag.
Sie waren aus dem täglichen Leben nicht wegzudenken. Sie sind ein Teil der Zivilisation, älter als fließendes Wasser oder elektrischer Strom. Älter als Sirenen auf öffentlichen Gebäuden, sie ersetzten zwar nicht das Radio mit seiner Informationsdichte, aber sie waren vor der elektrischen Information.
Unvergessen, wie meine Großmutter in ihrem Dorf, wenn die Glocken zu außergewöhnlicher Zeit läuteten, binnen kurzer Frist irgendetwas im Ort einkaufen oder erledigen musste und mit Sicherheit die wichtigste Neuigkeit nach Hause brachte. Die Glocken konnten nicht den Text übertragen, aber sie zeigten zuverlässig an, dass es eine Nachricht geben würde.
In Zeiten der aktuellen Pandemie mit ihren Ausgangsbeschränkungen sind die Glocken plötzlich wieder wichtig. Nicht dass sie jetzt öffentliche Informationen verbreiten könnten, das erledigen Internet, Radio, Fernsehen und die papierne Presse aktuell und zuverlässig.
Und sie laden auch nicht ein zu Gottesdiensten und Versammlungen. Die sollen ja nun gerade nicht stattfinden.
Aber sie können erinnern. An sich selbst, an die Kirche, über der sie hängen und klingen, an die Botschaft, die sie sonst verkünden und die mit Gesang, Gebet und Predigt verkündet wird. Das ist gerade ihre Aufgabe, denn die öffentliche und persönliche Ansprache im Kirchenraum gibt es gerade nicht.
Es gibt die Übertragung von Wort und Bild mit verschiedenen Medien, das ist nicht unterbrochen. Insofern ist es möglich, die Menschen anzusprechen. Der Fernsehgottesdienst erlebt gerade wieder eine Renaissance, im Internet entstehen ganz neue Möglichkeiten.
Aber unsere neue evangelische Kirche in Vohburg muss schweigen, weil sie keine Glocken hat. Ja, sie kann sich im Internet bekannt machen, und sie verfügt noch über ihr papiernes Publikationsorgan, das Gemeindeblatt.
Aber sich einfach akustisch angenehm bemerkbar machen, gehört werden wie nahezu jede andere Kirche auch, das ist ihr gerade nicht möglich. Denn sie hat keine Glocken mehr bekommen können, weil das Geld ausgegangen ist.
Das muss schnell geändert werden. In Zeiten, wo die Kirche nicht besucht werden kann, wo man in ihr nicht singen, beten, Gottesdienst feiern kann, soll sie wenigstens durch Glocken hörbar werden und sich so in Erinnerung rufen können. Wenigstens das!
Reinhard Wemhöner, Pfarrer