Mir nahe Verwandte hatten es. Sie ist Ende Fünfzig, berufstätig, gesund und sportlich aktiv. Ihr Mann hatte es auch, er ist einfach zehn Jahre älter und eben Ruheständler
Wir haben täglich mehrmals telefoniert, manchmal nur ganz kurz oder auch nur geschrieben, weil sie gerade nicht sprechen konnten. Eine schwere Grippe, mit unbekannten Symptomen, die sehr unangenehm sind (z.B. Verlust des Geschmacksempfindens). Und dann Fieberschübe, Schweißausbrüche und Schwächeanfälle, die Angst gemacht haben und auch seelische Tiefs nach sich zogen. Ganz abgesehen von der körperlichen Erfahrung, wo eine Etage über die Treppe zur mentalen und körperlichen Herausforderung und Höchstleistung geworden war.
Hat mir Angst gemacht, das zu hören. Immerhin, die Versorgung hat gut funktioniert. Aber wenn man dann Risikopatient ist, und als solcher bezeichne ich mich (über 60, Koronare Herzkranzgefäßerkrankung mit Bypass-Operation, Bluthochdruck), dann ist das noch einmal beeindruckender als wenn man als junger Mensch in voller Blüte steht oder auf dem Höhepunkt seines Schaffens.
Ich kann daher nur warnen, diese Krankheit leicht zu nehmen. Es kann wohl einen unauffälligen Verlauf nehmen, aber es kann sich unversehens zu einer schweren Krankheit entwickeln, die bis in die Intensivmedizin führt. (Gott sei Dank, dass wir das nicht erleben mussten. Aber sogar das war zwischendurch Thema…).
Alle Forderungen aus politischen und ökonomischen Motiven, schnell zum Alltag zurück zu kehren, vor allem aber persönliche Begegnung und besonders Nähe zu den Menschen zuzulassen, mit denen man nicht regelmäßig zusammenlebt, aber mit denen man etwas unternehmen möchte, verbieten sich nach meinem Dafürhalten nach diesen Beobachtungen vollkommen.
Klar, es gibt Dinge, die müssen sein: Arbeit, dringende Erledigungen, Einkäufe, Arztbesuche etc. Aber Vieles geht auch anders, Vieles geht tatsächlich im Internet. Und ja, da sind sicherlich viele Kinder, die gerade besonders leiden unter den Bedingungen, die ihnen ihr Zuhause bietet. Da gibt es Umstände, die nicht achtlos als „Kollateralschaden“ betrachtet werden können und dürfen.
Manches wiederum duldet auch Aufschub. Dann muss etwas eben warten, davon geht die Welt nicht unter. Urlaubsreisen, Familienfeiern. Manche Anschaffung oder sogar medizinische Behandlung.
Denn es sind nicht nur die Hochbetagten, die Menschen mit schweren Vorerkrankungen oder mit akuten Leiden, derentwegen die Betroffenen vielleicht auch in absehbarer Zeit verstorben wären.
Es kann jeden treffen. Und wie! – Deshalb sollte man nicht das Schicksal herausfordern oder leichtfertig damit spielen, dass Gott es schon richtig machen werde. Denn wenn wir nicht auf uns aufpassen im Rahmen unserer Möglichkeiten, dann dürfen wir nicht einfach stillschweigend erwarten, dass mit Gottes Hilfe alles einfach und von selbst wieder gut wird. Das ist die Haltung der Auto- oder Motorradfahrer, die mit ihrer Fahrweise ihr Leben riskieren und wo dann die hinterbliebenen Angehörigen mit dem Schicksalsschlag umgehen müssen, wenn das Fahrmanöver nicht geklappt hat.
Die aktuelle Pandemie „Covid-19“ ist wie frühere Krankheiten und Epidemien kein Gottesurteil, sie ist keine Strafe Gottes, sie ist kein apokalyptischer Vorbote. Sie ist vielmehr eine jederzeit mögliche Naturkatastrophe wie ein Erdbeben mit folgendem Tsunami, wie ein Felsabsturz oder ein Erdrutsch im Gebirge, wie eine Sturmflut oder ein Hochwasser am Unterlauf eines großen Flusses, ein Waldbrand. Nicht mehr, nicht weniger; nicht zu unterschätzen, nicht falsch einzuordnen oder auch zu überhöhen.
Reinhard Wemhöner, Pfarrer