Oder anders gefragt: „Kann man Gottesdienst feiern, ohne dass „die Gemeinde“ oder wenigstens ein paar Gemeindeglieder dabei sind?
Das Thema stellt sich auf kuriose Weise: In Zeiten der aktuellen Pandemie ist es geboten, zumindest vor der Entdeckung von Abwehrmechanismen wie Medikamenten oder Impfungen, zueinander auf Abstand zu gehen und keine größeren gemeinsamen Veranstaltungen zu besuchen. Und darunter fallen natürlich auch Gottesdienste!
Egal, ob es 20 Personen seien oder 200. In einem kleinen Kirchenraum sind 20 möglicherweise gefährlicher als 200 Menschen in einer großen Kathedrale. – Aber dürfen dann 20 in einer großen Kathedrale?
Aber ganz unabhängig von solchen Risikokalkulationen: Hat es Sinn, „macht es Sinn“, Gottesdienste zu feiern, wenn keiner dabei ist? Nicht einmal per Fernsehen oder Live-Stream, nicht einmal als Aufzeichnung? Der Priester oder wer auch immer ganz allein am Altar? (Und dann noch an besonderen Feiertagen?)
Nun, jeder kann immer beten. Wann und wo er will und kann. – Also ganz praktisch: Man kann im Zug, in der Straßenbahn beten; sieht ja erst einmal keiner. Es kann sein, dass das Ablenkungspotential hoch ist, aber wer sich darüber hinwegsetzt, der oder die kann beten.
Wenn man aber der Meinung sein sollte, dass man nur in einem Tempel, in einer dafür ausgewiesenen Gebetsstätte, wirklich beten kann? – Naja, dann wäre das so. Dann muss man natürlich den Tempel aufsuchen und dort tun, was man tun will, kann und muss.
Oder einen besonderen Ort. Die Klagemauer beispielsweise. Die Kaaba in Mekka. Den Schrein des Hussein. Die Statue des Buddha. Bethlehem, das Grab Jesu in Jerusalem. Nicht aus touristischen Gründen, sondern weil bestimmte Anbetungen möglicherweise bestimmte Plätze brauchen. Oder Gegenstände, die nur an diesen Plätzen vorhanden sind. Wallfahrtsorte haben manchmal so etwas.
Aber ganz allein?
Nun gab es schon immer Eremiten. Wahrscheinlich in allen Religionen, auf jeden Fall aber im Christentum. Sie verstanden ihre Aufgabe darin, in aller Abgeschiedenheit, ohne die Ablenkungen des gesellschaftlichen Lebens ihre gesamte Zeit der Anbetung Gottes zu widmen. Ob das von einer Öffentlichkeit wahrgenommen wurde oder nicht, war ihnen dabei offenbar nicht wichtig. (Vielleicht einigen schon, sonst könnte man ja gar nichts davon wissen…)
Und es gibt natürlich auch immer die Denkweise, dass Gott das von einem erwartet. Möglicherweise, dass Gott das sogar braucht. Der Brudermord des Kain an Abel war die Folge der Beobachtung, dass der Rauch von dem einen Opfertisch nicht so aufstieg wie der des anderen. Und daraus Kain den Schluss zog, dass sein Opfer nicht gut angenommen wurde. Einerlei, ob der Gedankengang stimmt oder nicht, aber es zeigt wie schwerwiegend und fatal der negative Eindruck am Opfertisch gewogen hat.
Ist es also richtig, vielleicht nötig oder gar wichtig, solche Opfergaben darzubringen? Soll Gott nicht am dafür vorgesehenen Altar auf richtige, festgelegte Weise das ihm gebührende Opfer dargebracht werde? Wirkt das dann mehr, besser?
Kann man also, muss man nicht Gott sogar diesen Dienst erweisen? Ist es gut, ist es vielleicht nötig oder wenigstens hilfreich, ihm ein Opfer am Altar darbieten? Und deshalb einen Gottesdienst auch dann zu feiern, oder besser zu „vollziehen“, auch wenn niemand außer dem Opfernden dabei ist? (Eine freudige Feier kann das ja eigentlich nicht sein? Oder? Insbesondere an einem Feiertag, zu dem dieses Ereignis gehört?)
Kann man machen, muss man aber nicht.
Jeder kann sein Gebet verrichten, wo er will und kann. Wenn jemandem dafür ein Altar zur alleinigen Nutzung zur Verfügung steht, kann man ihn benutzen.
Aber man muss nicht. Man kann für sein Gebet, auch an einem solchen Feiertag wie Karfreitag und Ostern, einen anderen Ort nutzen. Das kann zuhause sein, das kann im Freien sein. Das kann in einer zugänglichen, weil offenen Kirche sein.
Außer man hat auch den Schlüssel zu der Kirche.
Aber ich bin sicher, dass die Gebete auch erhört werden, wenn man nicht in der Kirche sitzt, wenn man nicht den Schlüssel zu einer Kirche und einem Altar hat. Sondern wenn man als alleiniger Beter oder Denker wo auch immer seine Andacht, sein Innehalten vor Gott lebt und ihm dankt oder ihn bittet! Da spielt der Ort oder der Raum keine Rolle.
Reinhard Wemhöner, Pfarrer