Und wenn ich sterben muss? – Dann bin ich plötzlich tot! – Dann sehen wir uns auf der anderen Seite des Lebens.
Dieses Virus bringt uns an die Grenzen.
Manchen reißt der Geduldsfaden, andere versuchen die Grenzen der Regelungen zu überschreiten und glauben tun zu können, was sie immer taten. Betriebe und Staaten kommen an ihre wirtschaftlichen Grenzen, die medizinische Versorgung kommt möglicherweise noch an ihre Grenzen. Politische Grenzen sind längst erreicht, es gibt eine Rückkehr zu Grenzziehungen, die man sich innerhalb Europas nicht mehr hätte vorstellen können. (Ich jedenfalls nicht!)
Aber die Krankheit bringt auch viele Menschen an die Grenze ihres Lebens. Manche sterben, von denen man das noch nicht gedacht hätte und viele andere kämpfen um ihre Gesundheit, und sogar um ihr Leben. Sie wollen diese Grenze nicht überschreiten, sie wollen noch leben und unsere medizinischen Einrichtungen tun alles, um ihnen das zu ermöglichen.
Aber es zeichnet sich ab, dass es immer mehr sein werden, die diesen Kampf, diesen Überlebenskampf nicht gewinnen werden. Bilder und Nachrichten aus benachbarten Staaten zeigen verstörende Bilder eines kollabierenden Gesundheitssystems, wo am Ende die Verstorbenen nicht mehr in der gebührenden Würde bestattet werden können.
Und so stoßen wir ganz existentiell an unsere Grenzen. Denn es kann offenbar jeden betreffen und treffen. Es sind nicht nur die Gebrechlichen und Hochbetagten „mit Vorerkrankungen“, sondern es sind auch jüngere, die schwer leiden und bei denen der positive Ausgang nicht garantiert ist.
Es muss sich also jeder der Frage stellen „Was wäre, wenn?“ Wir sind nicht mehr nur von Fahrrad- oder Autounfällen, von Krebs oder Gefäßerkrankungen bedroht, sondern die Vielfalt der „allgemeinen Lebensrisiken“ hat sich um eine sehr konkrete und sehr bedrohliche Variante bereichert.
Deshalb ja, das Todesrisiko ist auf eine gewissen Weise näher gerückt, es ist nicht mehr nur ein außerordentliches Ereignis. An Covid19 zu erkranken ist ziemlich wahrscheinlich geworden. Momentan (Anfang April 2020) ist die Zahl der Verstorbenen noch irgendwie „hinnehmbar“, aber was könnte man denn tun, wenn sie als „nicht mehr hinnehmbar“ empfunden würde? Man müsste sich arrangieren, man müsste spätestens dann ganz schnell lernen, damit irgendwie umzugehen.
Besser ist wohl, sich beizeiten wieder dem Gedanken zuzuwenden, dass unser irdisches Leben begrenzt und endlich ist. Klüger ist wohl zu realisieren, dass wir mit jedem Tag unseres Lebens unserem Tod näher kommen und dass wir nie wissen, wann und wie es dann sein wird.
Niemand soll sich nun in depressive Stimmung begeben und in ständiger unmittelbarer Todesangst leben müssen, das ist nicht die Idee und das Ziel des Gedankengangs. Aber wir sollten uns bitte schon wieder der auch wahren Realität zuwenden, dass unser Leben begrenzt ist und wir nicht wissen, wo die Grenze liegen wird. Aber wir glauben auch, dass hinter der Grenze noch etwas ist.
Dann sollten wir uns daran erinnern, dass „auf der anderen Seite des Lebens“, wie ich die „Auferstehung der Toten“ oft benenne und beschreibe, wieder Leben sein wird. Aber wir kennen es nicht, und ein Hin- und Her zwischen diesen beiden Seiten ist nun einfach nicht möglich. Wir Lebenden können mit den Verstorbenen nicht mehr kommunizieren und sie nicht mit uns. Aber wenn wir dereinst alle auf der anderen Seite des Lebens sind, dann wird es wieder möglich sein.
Zu diesem Glauben, zu dieser Hoffnung sollten wir uns wieder deutlicher stellen und bekennen. Wenn uns das die Konfrontation mit dem Virus wieder lehrt, dann wäre das in aller Tragik das Beste, was daraus hat geschehen können.
Reinhard Wemhöner, Pfarrer