Ein Video zu dieser Predigt finden Sie im Kirchraum Ingolstadt
Liebe Gemeinde,
der Karfreitag ist schon immer ein eher stiller Tag gewesen, jedenfalls für diejenigen, die sich dem Glauben an Jesus Christus verbunden fühlen, die ihm anhängen. Das mag regional und konfessionell auch verschieden sein, in unserer Kirche und Kultur ist das so.
Schließlich geht es um den Todestag Jesu. Als die Menschen um ihn herum damit fertig werden mussten, dass ihr Traum vom Leben, von der Welt mit Jesus geplatzt zu sein schien, waren sie bestimmt auch eher still. Wenige Tage vorher noch in Hochstimmung, der grandiose Einzug in Jerusalem mit Hosianna-Rufen und mit ausgebreiteten Stoffen und Palmwedeln für den vermeintlichen Träger einer besseren Zukunft.
Ein jäher Absturz aus dem Traum, eine Konfrontation mit einer Wirklichkeit, wie er wenige Tage vor dem Absturz nicht möglich gewesen schien.
Düstere Ahnung hatte er selbst ja wohl schon, so wird berichtet aus den Evangelien, die dafür Authentizität in Anspruch nehmen. Ohne das kritisch vertiefen zu wollen, nehmen wir das jetzt einfach mal an. Was war es, das Jesus den Mut und die Hingabe gab, sich dennoch all dem Kommenden auszusetzen?
Darüber sind bereits „regalmeterweise“ Bücher verfasst worden. Die abschließende und nicht mehr kritisierbare Erklärung war noch nicht dabei, denn es werden immer noch Bücher dazu verfasst.
Dieser Karfreitag 2020 wird bei uns ein besonders stiller Tag werden. Nichts von dem, was man an diesem Tag üblicherweise in einer Kirche tut, wird möglich sein. Keine Gottesdienste vormittags, keine Andacht zur Todesstunde Jesu um 15.00 Uhr. Man kann noch die Kerzen in der Kirche ausblasen und sollte als Pfarrer oder Mesner nicht vergessen, das Glockengeläut auszuschalten. (Falls man eines hat.) Aber viel mehr wird nicht möglich sein, außer man wollte sozusagen „Geistermessen“ in leeren Kirchen feiern. Oder, was dagegen gut denkbar ist, man könnte einen Gottesdienst per Live-Stream in die Wohnungen der daran Interessierten übertragen. Aber dafür gibt es die Fernsehgottesdienste, auch wenn die nur sehr selten aus der eigenen Kirche kommen.
Natürlich kann man am Karfreitag zum Beten in die ansonsten leeren Kirchen kommen. Aber es sollten keinesfalls mehr als drei oder fünf Personen gleichzeitig sein – eine kuriose Vorstellung. Und sie sollten dann weit auseinander sitzen oder stehen. Noch kurioser. Und sie sollten wieder gehen, oder sich mit Handschlag oder gar Umarmung verabschiedet zu haben. Gänzlich kurios.
Nun, wenn man so will, nachdem Jesus am Kreuz verstorben war, dürfte das für seine Gefolgsleute, für seine Jüngerinnen und Jünger nicht anders gewesen sein: Die sind sicher auch still auseinander gegangen, oder vielleicht in kleinen Gruppen still in das gemeinsame Zuhause zurückgekehrt. Und haben sich allenfalls hinter verschlossen Türen umarmt und geweint.
Die waren auch verstört und aus ihrem Leben herausgerissen. Die waren wahrscheinlich auch krank an der Seele, vielleicht auch körperlich angegriffen von dem, was sie erlebt hatten. Und sie konnten sich und anderen nicht erklären, was da gerade passierte. Sie hatten auch kein Erklärungsmuster, die hatten auch keine Vorlage, Idee oder „Drehbuch“, wie sie mit dieser Situation umgehen sollten.
Sie hatten keine Erklärung. Sie hatten nur Trübsinn und Angst. Nichts war mehr so, wie es vorher gewesen war. Nichts schien mehr zu stimmen, von dem, was sie bis zu diesem Moment gedacht und geglaubt hatten. Alles war anders.
Der Karfreitag kann so als Vorlage für die moderne Erfahrungen und Erlebnisse dienen, gerade auch in diesen Monaten einer gefährlichen Pandemie. Der Karfreitag dient als Modell für Verlust und Niederlage. Der Karfreitag steht als kollektive christliche Erinnerung für Trauer und Angst über die Zeiten, sogar über Jahrhunderte hinweg. Der Karfreitag ist ein Tag der Hilflosigkeit, ein Beispiel für Ohnmacht und Verlust. Vom Todestag Jesu angefangen bis in das Jahr 2020 hinein.
Der Karfreitag dient auch als Erinnerung an Hingabe. Ein Mensch geht seinen vorbestimmten Weg, auch wenn er ihn am Ende das Leben kosten wird. Jemand tut etwas, auch wenn ihn das von seinen Liebsten trennt. Es ist in diesem Tag die Erfahrung, dass man etwas nicht stoppen kann, und wenn man es noch so sehr möchte.
Das sind sogenannte existentielle Erfahrungen. Damit sind gemeint die Erfahrungen und Momente, die einem unter die Haut gehen. Geburt und Tod, Krankheit und Leiden, Angst und Hoffnung, Schmerz und Trauer. Natürlich auch die schönen Dinge im Leben, aber es sind eben noch mehr die Dinge, die wir mit negativen Gefühlen verbinden. Die Bedrohlichkeit des eigenen Lebens, der eigenen Existenz bedrängt einen oftmals mehr, als einen das Erfreuliche im Leben beflügeln und befreien kann.
Das darf am Karfreitag so sein, und man soll diesem Gedanken auch seinen Raum und sein Recht geben, gerade an diesem Tag. Er soll erinnern an den schlimmsten Tag im Leben Jesu, auch wenn mit diesem „schwarzen“ Tag eine neue Geschichte zwischen Gott und Mensch begann.
Aber man soll und muss den schlimmen Ereignissen dieses Tages eben auch seinen Platz geben. Leiden gehört zum Leben, Sterben gehört zum Leben. Und die Erfahrung der Machtlosigkeit, der Ungerechtigkeit und Erleben bloßer Willkür gehört auch immer wieder mal zu den Erfahrungen, die man im Leben macht.
Es ist also im Jahr 2020 der Karfreitag ein Tag, so wie es ihn im Leben der Christenheit wohl bisher nicht gegeben hat: Die Menschen stellen die Feierlichkeiten, die Rituale zur Erinnerung an diesen Tag ein. Alles, was wichtig war und schien, was den Tag zum Feiertag machte, ist in diesem Jahr unmöglich. Wenn man so will, kann man sagen „Nicht einmal gemeinsam trauern darf man mehr an diesem Tag!“
Aber: Wir haben zwar die öffentlichen Gottesdienste eingestellt, wir verzichten wohl auf die gewohnten Rituale, aber wir stellen nicht den Karfreitag ein! Denn es gibt ihn so oder so, er kann gar nicht „nicht sein“! Denn er ist nun einfach mal in der Welt, auch wenn wir ihn aus guten Gründen, mit einer guten Begründung und Hoffnung (!) in diesem Jahr nicht wie gewohnt feiern können.
Aber es ist uns unbenommen, ihn zu würdigen in stiller Andacht, mit einem Gottesdienst aus dem Fernsehen oder im Radio oder auch irgendwo im Internet. Es sollte dann schon ein Moment sein, der eine ungestörte Zeit zulässt oder der auch in ein Gespräch in der Familie oder Partnerschaft über Gott und die Welt an diesem Tag mündet.
Die Formen können also ganz verschieden sein. Es muss eben nicht ein klassischer Gottesdienst oder eine Andacht in einer Kirche sein, irgendein „kirchlicher Vollzug“ sein. Es geht auch anders, wenn man will. Man darf und kann mit Möglichkeiten experimentieren. Denn Gottes Wege sind auch unergründlich.
Und sei es nur, dass man eine Predigt wie diese liest und sagen kann: „Amen!“ („So sei es!“)